Hintergrundprogramm und Motivation:
Die Sedanstraße im Eimsbütteler Grindelviertel wurde 1900 zu Ehren des preußischen Sieges über Frankreich in der Schlacht bei Sedan 1870 benannt. Mit diesem Sieg ist der Mythos der deutschen Einigung im gemeinsamen Kampf gegen den französischen „Erbfeind“ (dt.-frz. Krieg 1870/71) und der anschließenden Gründung des deutschen Kaiserreichs „durch Eisen und Blut“ verbunden. Die Sedan-Schlacht und ihre Glorifizierung stehen für entwertende Feindbilder, das Propagieren von Krieg mit all seinen Folgen als legitimes Mittel der Politikführung, die Unterordnung aller gesellschaftlichen Bereiche unter die Machterweiterung und die Abwehr fortschrittlichen zivilgesellschaftlichen Engagements. Dies wirkt bis in die aktuelle deutsche Verteidigungspolitik, in der wieder vom Aufbau einer Offensivtaktik gesprochen wird, statt mit Abrüstung für Frieden zu wirken. Die in der Wahl des Straßennamens „Sedanstraße“ ausgedrückte Beschwörung eines Schlachtplatzes durch die Siegerpartei dient jenem militaristischen Geist, der Politik immer noch – weltweit – prägt. Die Initiative Sedanstraße umbenennen setzt dem die Perspektive einer dem Frieden gewidmeten Politik entgegen.
Der historische Kontext des deutsch-französischen Krieges
Die Französische Revolution von 1789 inspirierte den im Pariser Exil lebenden Dichter Heinrich Heine zur Huldigung von Demokratie als Gleichheit an kulturellem und sozialem Wohlstand: „Wir kämpfen nicht für die Menschenrechte des Volks, sondern für die Gottesrechte des Menschen. […] Wir wollen keine Sansculotten sein, keine frugale Bürger, keine wohlfeile Präsidenten: wir stiften eine Demokratie gleichherrlicher, gleichheiliger, gleichbeseligter Götter. Ihr verlangt einfache Trachten, enthaltsame Sitten und ungewürzte Genüsse; wir hingegen verlangen Nektar und Ambrosia, Purpurmäntel, kostbare Wohlgerüche, Wollust und Pracht, lachenden Nymphentanz, Musik und Komödien.“ (Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, 1834) Für solche Schriften wurde Heine als „Franzosenfreund“ und amoralischer Vaterlandsverächter diffamiert.
Die Diffamierung demokratischer Bestrebungen als „undeutsch“ konnten jedoch die Märzrevolution von 1848/49 nicht verhindern. In dieser erhob sich das liberale deutsche Bürgertum gegen Kleinstaaterei und Fürstenwillkür und trat mit der berühmten verfassungsgebenden Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche für erweiterte demokratische Verfügung und eine Einigung Deutschlands in diesem Sinne ein. Im satirischen Flugblatt Republikanischer Katechismus Für Das Deutsche Volk. Erstes Kapitel. Von Den Überflüssigen Fürsten (1848) zeigt sich das durch die französische Revolution angeregte neue Selbstbewusstsein gegenüber den Würdenträgern: „Frage: Was ist ein Fürst? […] Wie viele solcher Individuen hat das deutsche Volk zu füttern? – Antwort: Mehr als zu viel. – Frage: Wie so? – Antwort: Es sind ihrer nicht weniger als 34 Regierende d.h. Nichtsthuende und 1353 Stück Nichtregierende d.h. Garnichtsthuende, die sich das deutsche Volk zu seinem National-Vergnügen erhält, um als National-Eigenthum vor ihnen in gehorsamster Unterthänigkeit zu ersterben.“ Die Abschaffung von Pressezensur und Leibeigenschaft zählten zu den Errungenschaften der Revolutionär:innen, die jedoch 1849 mit der Zerschlagung der revolutionären Bewegung durch preußisches und österreichisches Militär weitgehend zurückgenommen wurden.
Doch auch die erstarkende Arbeiterbewegung organisierte sich im Zuge länderübergreifender Streikunterstützung zunehmend international und machte so die Perspektive, durch solidarisches Zusammenwirken die Machtpolitik zu überwinden und Wohlstand und politische Partizipation der Bevölkerungsmehrheiten zu erzeugen, greifbar. Nach Vorbereitungen durch englische und französische Arbeiter wurde 1864 die Internationale Arbeiterassoziation gegründet, um gemeinsam für die allseitige Emanzipation der arbeitenden Bevölkerungen einzutreten. In seiner Eröffnungsansprache mahnt Karl Marx, dass dies nicht möglich sei „mit einer auswärtigen Politik, die frevelhafte Zwecke verfolgt, mit Nationalvorurteilen ihr Spiel treibt und in piratischen Kriegen des Volkes Blut und Gut vergeudet“ und er fordert stattdessen, „die einfachen Gesetze der Moral und des Rechts, welche die Beziehungen von Privatpersonen regeln sollten, als die obersten Gesetze des Verkehrs von Nationen geltend zu machen.“
Der Aristokrat und spätere preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck hatte sich den Kampf gegen jegliche fortschrittlichen Bewegungen und gegen eine demokratische Staatsform auf die Fahnen geschrieben. 1862 drohte er: „Nicht auf Preußens Liberalismus sieht Deutschland, sondern auf seine Macht; […] nicht durch Reden oder Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen – sondern durch Eisen und Blut.“ Nicht einmal zehn Jahre später verwirklichte inmitten des deutsch-französischen Krieges am 18. Januar 1871 die Ausrufung des Preußenkönigs Wilhelm I. zum deutschen Kaiser diese Drohung. Dieser Krieg hatte durch die Schlacht von Sedan am 1./2. September 1870 und den Sieg über das Heer des französischen Kaisers Napoleon III. eine entscheidende Wendung erfahren – auf Kosten des Lebens von über 6.000 Soldaten. Die deutschen Sozialdemokraten nahmen die Sedan-Schlacht zum Anlass, im Braunschweiger Manifest die sofortige Beendigung des Krieges zu fordern. Zum Machterhalt gegen Frankreich und gegen die eigene aufbegehrende Bevölkerung setzte die deutsche Regierung den Krieg gegen Frankreichs 3. Republik fort und klagte die Verfasser des Braunschweiger Manifestes wegen Landesverrats an.
Deutungen von „Sedan“ und den Folgen im Kaiserreich
Die Benennung von Straßen im Kaiserreich in Erinnerung an die Schlacht von Sedan war eines der Mittel der herrschenden Aristokratie und des nationalistisch gesinnten Bürgertums, den Krieg als identitätsstiftendes Moment der deutschen Einigung zu verankern und kritische Stimmen wie die der Arbeiterbewegung zu übertönen. Der preußisch-deutsche Militarismus sollte insbesondere durch die zum Jahrestag der Schlacht als Teil der nationalen Leitkultur festlich begangenen Sedanfeiern im öffentlichen kulturellen Gedächtnis verankert werden. In den von Staat, Kirche und militaristisch-nationalistischen Verbänden inszenierten Siegesfeiern wurden die eigene militärische Überlegenheit und die Vereinigung der deutschen Länder im gemeinsamen Krieg hervorgehoben und der „Opfertod“ der Soldaten gepriesen. Die Sedanfeier wurde Ausdruck der Gefolgschaft und ergebenen Treue gegenüber dem Herrschaftssystem des wilhelminischen Obrigkeitsstaats. Das Sedan-Gedenken kann mit der Überhöhung des Nationalen als Beitrag zur Vorbereitung einer Mentalität gelesen werden, die in die Kolonialpolitik des Kaiserreiches in Konkurrenz mit den europäischen Großmächten um einen „Platz an der Sonne“ und schließlich in den Ersten und Zweiten Weltkrieg eimündete. An diese Kultur des Nationalismus und Militarismus konnte in verhängnisvoller Weise die Eroberungspolitik des faschistischen Deutschen Reichs anknüpfen.
Stadtraum: Sedanstraße, Generalsviertel, Militärkaserne…?
Die Sedanstraße grenzte in Hamburg-Eimsbüttel von 1897 bis zum Ende des 2. Weltkrieges an das Gelände der Militärkaserne in der Bundesstraße. In dieser war das am deutsch-französischen Krieg beteiligte 76er-Regiment stationiert, dem 1936 das (inzwischen kritisch durch Gegendenkmäler kommentierte) Kriegerdenkmal am Dammtor gewidmet wurde. Der Komplex war nach dem Ersten Weltkrieg zentraler Ort der Ausbildung militärischer und polizeilicher Ordnungsgewalt in Hamburg. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden Polizeieinheiten in den Kasernen stationiert, darunter das Reserve-Bataillon 101, das im Zweiten Weltkrieg an Massenerschießungen in Polen und Weißrussland beteiligt war. 2013 beschloss die Bezirksversammlung Eimsbüttel daher, einen Gedenk- und Lern-Ort auf dem heute auf dem Gelände befindlichen Universitäts-Campus einzurichten. Auch die Straßen des nahegelegenen „Generalsviertels“ sind in militaristischem Geist nach hochrangigen preußischen Militärs (von Bismarck über Moltke, Wrangel, Kottwitz, Gneisenau und Manstein) benannt.
Heutige Aktivitäten zur Umbenennung
Ende 2020 haben sich anlässlich des 99. Geburtstages des vor wenigen Jahren verstorbenen Wehrmachtsdeserteurs und Friedensaktivisten Ludwig Baumann Aktive aus Friedensinitiativen, Fachschaftsräten der Universität Hamburg und Wissenschaftler:innen zur Initiative Sedanstraße umbenennen zusammengetan. Die Machtpolitik, für die das Sedan-Gedenken steht, wurde nach dem Ende der Kaiserzeit und der beiden von deutschem Boden aus begonnenen Weltkriege zunehmend zu Gunsten internationaler Kooperation überwunden: durch die mit der Befreiung im Mai 1945 einhergehende Grundsteinlegung für eine neue demokratische Kultur in Deutschland; durch die Gründung der Vereinten Nationen wenige Monate darauf (denen beide deutsche Staaten 1973 beitraten); sowie durch die Aktivitäten kulturellen Austauschs der deutschen und französischen Zivilgesellschaft (ab 1963 gestützt durch den Élysée-Vertrag und das Deutsch-Französische Jugendwerk). Wir sehen in dem wenige Straßen entfernt aufgewachsenen Ludwig Baumann und seinem engagierten, mutigen Eintreten für den Frieden einen würdigeren Namensgeber für die Aneignung lokaler Geschichte.
Wer sich an der Umbenennung beteiligen möchte, ist herzlich eingeladen, die [Petition] zu unterzeichnen und sie weiterzuverbreiten.
Mail: kontakt[at]sedanstrasse-umbenennen.de
Hier findet sich zum Download der Text als [pdf]-Broschüre.